Das Initiationsritual in der Erlebnispädagogik
Auch auf einem anderen Gebiet ist es für Jugendliche schwierig, im Alltag die Erfahrungen zu machen, die sie suchen: Studien zum Verhalten junger Männer haben gezeigt, dass viele aktuelle Probleme und Jugendphänomene sich darauf zurückführen lassen, dass unserer Gesellschaft ein wichtiges Ritual verloren gegangen ist, nämlich jenes, das den Übergang vom Kind zum Erwachsenen markiert, ein Initiationsritual also. Traditionell müssen die Jugendlichen dabei eine bestimmte Herausforderung meistern, um zu beweisen, dass sie der Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen würdig sind. Ein Initiationsritual hat es in allen Kulturen gegeben, und selbst bei uns sind solche Rituale heute noch in Form von Konfirmation, Kommunion oder dem Schulabschluss existent. Im Gegensatz zu den Naturvölkern, bei denen die erwähnten Jugendphänomene nicht zu beobachten sind, scheint bei uns jedes traditionelle Initiationsritual seine Wirkung für die meisten Jugendlichen verloren zu haben, was bei genauer Betrachtung nicht überrascht. Denn die Institutionen, also vor allem Schule und Kirche, haben in den Augen der Jugendlichen ihr Ansehen verloren, weshalb die angebotenen Rituale wirkungslos bleiben. Also stellen sie sich selbst gemachten Herausforderungen, die mangels Anerkennung des Umfeldes nicht die gesuchte Befriedigung bringen und das Bedürfnis nach weiteren Mutproben wecken. Schlagen diese Selbstinitiationsversuche sämtlich fehl, haben die Betroffenen oft bis weit ins Erwachsenenalter hinein Schwierigkeiten, ihren Status als Erwachsener zu akzeptieren.
Steiner wusste um die Wichtigkeit des Überganges vom zweiten zum dritten Jahrsiebt. Die anthroposophische Erlebnispädagogik hat aus seinen Erkenntnissen ein Konzept für ein Initiationsritual entwickelt, das den Übergang für Jugendliche im Rahmen eines Ferienlagers wieder erlebbar macht.
Beispiel: VISIONSSUCHE
Die jungen Erwachsene werden bei diesem Initiationsritual angeleitet, sich mit sich selbst, ihrer Kindheit und ihren Zielen für das künftige Leben als Erwachsene auseinanderzusetzen. Sie lernen, sich in der Natur ohne technische Hilfsmittel zu orientieren, Nahrung zu finden und zuzubereiten und sich ein Biwak zu bauen. Bei diesen Aktivitäten kommen sich die Teilnehmer näher und erleben, dass sich manche Herausforderungen nur in der Gruppe meistern lassen. Sie sind nun zu Gesprächen bereit, bei denen sie sich den anderen öffnen und diese ebenfalls zu Wort kommen lassen und ihnen zuhören. Den Höhepunkt bildet die Nacht der Einkehr, bei der die jungen Menschen zwei Tage und zweit Nächte allein in ihrer selbstgebauten Behausung verbringen und über eine Frage nachdenken, die sie für sich selbst formuliert haben. Ist diese Zeit vorüber, wird jeder festlich empfangen und bekommt die Gelegenheit, von seinen Erlebnissen zu berichten. Es wird gesungen, getanzt und gut gegessen. Die Erfahrungen und der gesamten Reise werden am nächsten Tag mit Hilfe der Kunst dargestellt und die Gruppe würdigt die Stärken der einzelnen Teilnehmer. In einer abschließenden Gesprächsrunde wird das Erlebte rekapituliert, wobei besonders darauf eingegangen wird, ob und wie die gesteckten Ziele erreicht wurden und was geschafft und was noch zu schaffen ist. So nehmen die jungen Helden viele schöne und lehrreiche Erfahrungen mit und kehren gestärkt und mit neuer Selbsterkenntnis in den Alltag zurück.