Introduction to Waldorf and Outdoor Education
Vom 11.12.-13.12.2015 führte Aventerra in Kooperation mit dem World Waldorf Camp China (WWC) ein Seminar zum Thema „Introduction to Waldorf and Outdoor Education“ in Shanghai durch. Ein Erfahrungsbericht von Dozentin Lilith Chromow.
Wie bereitet man sich auf ein Seminar vor, dessen Inhalt man schon in vielen anderen Kursen behandelt hat, dessen Zielgruppe aber ein weißer Fleck auf der persönlichen Landkarte ist? Vor dieser Frage standen mein geschätzter Kollege Thorsten und ich immer wieder, wenn es um die Planung der drei Seminartage ging. Zwar hatten wir einiges über das Leben und das Bildungssystem in China gelesen, doch gab es viele offene Fragen. Würden die Seminaristen mit unseren erlebnisorientierten Methoden zurechtkommen? Würden sie sich auf unsere Inhalte einlassen, die sich sehr weit von der chinesischen Lehrmeinung unterschieden?
Mit vielen Ideen im Gepäck machten wir uns am Mittwochabend auf den Weg. Etwa 8.000 Km und sieben Stunden Zeitverschiebung lagen vor uns. Viel Zeit, um sich innerlich auf die neue Aufgabe einzulassen.
Der Plan, im Flugzeug ordentlich zu schlafen und dann ganz ausgeruht am Donnerstagmittag in Shanghai einzutreffen, ging nicht auf. Trotzdem fühlten wir uns gleich wohl, als wir unser Gepäck am Flughafen Shanghai Pudong eingesammelt hatten und Helena vom WWC schon bereit stand, um uns abzuholen. Wir fuhren ins Hotel, wo wir uns für die nächsten vier Nächte heimisch einrichteten.
Am Abend lernten wir das übrige WWC-Team und einige Teilnehmer kennen, denn uns zu Ehren wurde ein kleines Grillfest veranstaltet. Hoch oben in einem Stahl-und-Glas-Gebäude mit weitem Blick über die Millionen von Lichtern des nächtlichen Shanghai hatten wir Zeit, richtig anzukommen. Sehr erfreut stellten wir fest, dass alle sehr aufgeschlossen und äußerst freundlich waren. Es entwickelten sich schnell interessante Gespräche.
Wir verließen das Fest nicht zu spät, da wir ja einiges an Schlaf aufzuholen hatten und am nächsten Tag höchste Erwartungen auf uns ruhten.
Das mit dem Schlafen hatte irgendwie wieder nicht funktioniert, wir hatten uns aber schon an den Zustand gewöhnt. Wir suchten Erfolgreich den 20-Minütigen Weg vom Hotel zum Seminarort und sahen dabei das lebendige morgendliche Treiben einer chinesischen Großstadt. Menschen mit Elektrorollern und auf mit Kisten beladenen Fahrrädern bahnten sich ihren Weg über Kreuzungen, auf denen nur durch regelmäßiges Hupen Zusammenstöße vermeidbar schienen. An Waschbecken vor den Häusern putze man sich die Zähne, in Töpfen und Pfannen wurde warmes Essen zum Frühstück angeboten.
Im Seminarhaus angekommen machten wir noch einige letzte Vorbereitungen, dann ging es los. Die meisten Teilnehmer hatten neben ihrem chinesischen Namen noch einen englischen, der uns das Namenlernen erleichterte. Die ersten Spiele und Übungen verliefen reibungslos, die Klärung der Erwartungen war sehr interessant und zeigte gleichzeitig, dass wir mit unseren Ideen ziemlich genau die Fragen der Teilnehmenden beantworten würden.
Den ganzen Freitag nahmen wir uns Zeit, um die Idee der Erlebnispädagogik zu vermitteln. Wir stießen auf großes Interesse und viel Offenheit. Alle ließen sich auf unsere Übungen ein und in sehr ergiebigen Reflexionsrunden wurde deutlich, dass es für viele ein ganz neuer Gedanke war, dass es eine Perspektive des Kindes gibt und dass das Kind nicht zur Entwicklung gezwungen werden muss, sondern von sich aus danach strebt. Viele Teilnehmer äußerten, dass sie nach den Erlebnissen des Tages ihre eigenen Kinder mit ganz anderen Augen sähen.
Der Samstag widmete sich der Sinneslehre nach Rudolf Steiner. Wir tasteten, balancierten, lauschten Geschichten, und versuchten uns im dynamischen Zeichnen, um so die Sinne erlebbar zu machen. Die anschließende Theorie wurde wieder mit großem Interesse aufgenommen und diskutiert.
Dass es nicht immer sinnvoll ist, ein Problem von allen Seiten verstehen zu wollen, erlebten die Seminaristen bei der Kooperationsübung „Codeknacker“. Das Spiel, das bereits von Mittelstufenschülern auf pragmatische Weise schnell gelöst werden kann, sollte eigentlich nur eine kleine Selbsterfahrung aus diesem Bereich der Erlebnispädagogik werden. Es kam aber ganz anders. Die Seminaristen analysierten und diskutierten, denn sie wollten die Aufgabe perfekt lösen. Dabei verkomplizierten sie die Aufgabe, was letztendlich nur zu einem Teilerfolg führte. Über diese Erfahrung konnten sich im Nachhinein alle sehr amüsieren, weil sie sich in dieser Erfahrung selbst wiedererkannten. Am Abend schlossen wir den Tag mit dem Angebot, sich aus dem 6. Stock des Gebäudes im Treppenhaus abzuseilen. Das wollten alle unbedingt probieren! Sehr stolz und zufrieden verließen die Teilnehmer an diesem Abend spät aber glücklich das Seminar.
Der Sonntag war der kindlichen Entwicklung nach Steiner vorbehalten. Wir hatten zur Vorbereitung bereits einige Wochen vor dem Seminar einen Text verschickt. Zu unserer großen Überraschung waren alle bestens vorbereitet. Sie hatten den Text nicht nur gelesen, es gab Unterstreichungen, Kommentare und Übersetzungen, an denen man erkennen konnte, dass bereits richtig am Text gearbeitet worden war. So konnten wir tief in das Thema einsteigen und gaben Beispiele für die Umsetzung der Erkenntnisse in der pädagogischen Praxis in Schule und Outdoor.
Das Seminar endete für einige unter Tränen, denn die Ideen und Erfahrungen hatten für viele Teilnehmer den Blick auf die eigene Kindheit verändert. Wir bekamen eine große und ehrliche Dankbarkeit entgegengebracht und konnten selbst viele neue Erfahrungen machen.
An unserem letzten Abend wurden wir vom Organisationsteam des WWC zum besten chinesischen Essen ausgeführt, das wir je probieren durften. Wir feierten den Erfolg des Seminars und die gelungene Zusammenarbeit und schmiedeten Pläne für die Zukunft.
Am Montagvormittag hieß es dann Abschied nehmen von Shanghai. Nach 12 Stunden Rückflug und einigen Bahnfahrten kamen wir ziemlich durcheinander aber sehr inspiriert nach Stuttgart zurück.
Es war eine sehr anstrengende und schlafarme, aber gleichzeitig sehr schöne und spannende Erfahrung, für die ich Thorsten Bohle, Aventerra und dem WWC- Team herzlich danke!