Temperamente und Theaterpädagogik - ein schöner Abschluss des Ausbildungsjahres
Freitag Nachmittag, halb fünf. Die Stühle im Seminarraum sind schon fast alle gefüllt, hier und da trudeln noch Teilnehmer ein, es folgt die übliche ausgiebige Begrüßung derjenigen, die sich schon kennen. Und kennen lernen ist bei dieser Ausbildung ein Prozess, der sehr schnell geht. Durch die intensiven Erfahrungen, die man bei jedem Seminar teilt, ist man sich schon nach einem gemeinsamen Wochenende ziemlich vertraut. Es entstehen tiefe Freundschaften zu einigen, und selbst Teilnehmer, zu denen man nicht sofort Zugang findet, sind einem schon nach wenigen Seminaren vertraut und man kann gar nicht anders, als sie ebenfalls zu mögen. Denn die Seminare sind immer eine Herausforderung an jeden Einzelnen und an die Gruppe, manch einer lernt seine Grenzen kennen, und auch damit muss die Gruppe dann umgehen. Man gibt viel von sich Preis und erfährt eben so viel über die anderen, wodurch ein tiefes gegenseitiges Verständnis entsteht.
Wir freuen uns sehr über die vielen Neuen an diesem Wochenende, bei dem wir uns mit theaterpädagogischen Mitteln mit der Temperamentenlehre vertraut machen wollen. Die Vorstellungsrunde zeigt einmal mehr, wie bunt gemischt die Teilnehmer sind, vom Alter, vom beruflichen und privaten Hintergrund.
Dann geht es los. Die nächsten Tage beschäftigen wir uns viel mit unserer Wahrnehmung. Zunächst geht es um die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der eigenen Person, dann um die der gesamten Gruppe. Es ist erstaunlich, wie wir durch hohe Konzentration beispielsweise alle am selben Augenblick einen Ball auf den Boden prellen können, wo so etwas sonst selbst mit Kommando nicht richtig funktioniert. Es ist ein bisschen so, wie bei einem Vogelschwarm, der sich mit einer Art Gruppeninstinkt fortbewegt. Nur müssen wir ziemlich hart für diese Wahrnehmung arbeiten..
Wir beschäftigen uns auch mit unserer Urteilsfindung, versuchen, Wahrnehmung, Bewertung und Handlung strikt zu trennen.
Und natürlich geht es um die Temperamente! Nach einem einleitenden Vortrag versuchen wir, uns in die unterschiedlichen Temperamente einzufühlen, indem wir deren Archetypus in Haltung, Bewegung und Interaktion nachbilden und nachahmen. In kleinen, improvisierten Szenen setzen wir die Temperamente schauspielerisch um.
Am Ende beschäftigen wir uns noch einmal mit jedem Einzelnen: wir beobachten und beschreiben möglichst wertfrei den Gang der Teilnehmer. Der eine lehnt sich nach hinten, der andere geht ganz aufrecht, hier wird geschlurft, dort gestampft, die Arme schwingen – bei manchem auch nur einer – jeder hat seine ganz eigene Weise zu gehen. Durch das Feedback der anderen erfahren wir viel neues über uns selbst.
In der Abschlussrunde wird klar, dass alle das Seminar sehr genossen haben, das Thema aber noch viele Möglichkeiten zur Vertiefung bietet. Ich persönlich verfolge es seither im Alltag weiter, beobachte Leute am Bahnhof, wie sie sich bewegen, kleiden, unterhalten. Und versuche- entgegen meinem Temperament, nicht vorschnell zu (ver)urteilen, sondern genau hinzusehen, bevor ich mir eine Meinung bilde.
Vielen Dank an Till und Peter und natürlich alle Teilnehmer für das schöne und interessante Seminar!