Im Rahmen der offenen Fachtagung des Bundesverbandes Individual – und Erlebnispädagogik am 05.03.15 gab es einen Workshop, in dem sich die Teilnehmenden mit dem Thema Sicherheit und Risiko befassten. Ausgangspunkt der Debatte waren die steigenden Zahlen an Normen und Richtwerten, die gerade in den Bereichen Natursport und (Hoch)Seilgärten zu beobachten sind.
Erlebnispädagogik arbeitet ganz bewusst mit dem Risiko. Dabei ist im Normalfall vor allem ein subjektiv vom Klienten empfundenes Risiko im Spiel, das objektiv nicht als Gefahrensituation gelten würde. So ist eine redundant gesicherte Person auf einem Seilelement in 3 Metern Höhe statistisch gesehen sicherer, als beim Freizeitsport auf dem Fußballplatz. Trotzdem gehört für die meisten Menschen deutlich mehr Überwindung zu einem solchen Balanceakt. Genau mit dieser Erweiterung der persönlichen Grenzen arbeitet die Erlebnispädagogik. Und natürlich ist Sicherheit dabei extrem wichtig und kein Erlebnispädagoge will seine Klienten gefährden.
Es gibt allerdings Komponenten in der erlebnispädagogischen Arbeit, die nicht zu 100 % planbar sind. Dazu gehört die Natur, die immer für Überraschungen gut ist. Das Wetter, das sich einfach nicht an Vorgaben des Wetterberichtes halten will. Und auch die Menschen, die nicht wie Maschinen völlig planbar reagieren. Und so gehört es zum Arbeitsalltag eines jeden Erlebnispädagogen, schnell Entscheidungen treffen zu müssen. Hält das Wetter für die Kanutour? Sind die Kinder bereit für den anspruchsvollen alpinen Streckenabschnitt? Kann ich meine Höhlenbefahrung trotz der aufkommenden Panik eines Teilnehmers fortführen und er wächst an der Überwindung, oder gerät er außer Kontrolle und die ganze Gruppe gerät in Gefahr?
Richtwerte, Normen und Vorgaben können hilfreiche Orientierung bieten. Sie sind in Zahlen verwandelte Erfahrungswerte. Beim Bau eines neuen Hochseilgartens ist es schön, auf bestehende Werte zurückgreifen zu können und das Rad nicht permanent neu erfinden zu müssen.
Für die Arbeit der Erlebnispädagogen bergen diese Zahlen aber selbst gewisse Risiken. Sie vermitteln Kunden und Trainern eine unfehlbare Sicherheit, solange man die Richtwerte einhält. Diese ist aber niemals gegeben. Trotz eines hohen Betreuungsschlüssels, der allen Normen entspricht, kann sich ein Teilnehmer verletzen. Auch ein nach ERCA-Standards aufgebautes Seilelement garantiert keine Unfallfreiheit. In der Erlebnispädagogik kommt die Sorge auf, dass Ausbildungen und Anbieter durch die engen Vorschriften mehr darauf setzten, Normen zu prüfen und Zahlen beizubringen, als Trainer so zu schulen, dass sie in der Lage sind, eigenständig situationsbezogene Entscheidungen zu treffen. Das Wichtigste scheint dabei die Erfahrung zu sein, um Strömung, Fels, Wetter oder sonstige Gegebenheiten einschätzen zu können und vor allem, um das Verhalten der Klienten richtig zu lesen. Und wo sonst, wenn nicht draußen, im Risiko, an der Seite eines alten Hasen, soll diese Erfahrung erworben werden?
Die Gefahren stecken vor allem in den nicht geplanten Situationen, in unvorhergesehenen Ereignissen. Trotzdem wäre es ein großer Verlust, nur noch maximal planbare „Abenteuer“ anzubieten. Es wäre das Ende der Erlebnispädagogik, denn es würde die Abkehr vom naturgegebenen Setting bedeuten. Insofern ist es ein Anliegen vieler Anbieter, dem Risiko einen geschützten Raum zu schaffen. Denn wer beobachtet, wie sich Kinder in einer Gesellschaft entwickeln, die aus Angst vor Verletzungen jede echte, ursprüngliche Erfahrung verhindert, muss sich die Frage stellen, welches Risiko die absolute Risikovermeidung birgt. Basale Kompetenzen wie die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen oder sich selbst einschätzen zu können, werden doch am ehesten durch solche ursprünglichen Erfahrungen erworben. Wenn Treppensteigen der komplexeste Bewegungsablauf ist, den wir Kindern noch zumuten, ohne sie zu sichern, erhöhen wir dann nicht das Risiko, dass sie sich bei solchen Alltagsgelegenheiten verletzen, indem wir ihnen Übung und Erfahrung verwehren?
Am 31.10.2015 treffen sich Vertreter verschiedener Anbieter erlebnispädagogischer Aktivitäten in den Räumlichkeiten von Aventerra in Stuttgart, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Wir freuen uns auf das Treffen und einen regen Austausch!