Eine Querung durch die Alpen, das bedeutet nicht nur gedankenverloren in’s Blaue hinein zu wandern - es bedeutet auch höchste Konzentration bei Abschnitten, in denen die Füße nur Zentimeter vom Hang entfernt stehen, man auf einem Steig das Gewicht richtig ausgleichen muss oder man auf einem Schneefeld Gefahr läuft, weg zu rutschen.
Vor allem bedeutet es aber auch, den eigenen Rucksack wohl überlegt zu packen. Nicht nur am Anfang der Tour, sondern auch jeden Morgen halb verschlafen in den Hütten. „Hatte ich meine Regenhose heut Morgen wieder in den Rucksackboden gepackt?! Mist. Rucksack ab. Wieder auspacken. Regenhose gefunden. Alles wieder reinstopfen. Weiter geht’s“
Unsere Gruppe von der Wandertour vom 06.08. bis 15.08.2019 hatte ganze 10 Tage Zeit ihre Packkünste zu optimieren und Überflüssiges wurde schon am ersten Tag postwendend den Eltern wieder in die Hände gedrückt. Dann hieß es, den noch verbleibenden Ballast auf den eigenen Schultern und mit festgesurrten Gurten hunderte Kilometer weit zu tragen, immer wieder abzusetzen, Dinge ein- und wieder auszupacken, regenfest zu machen und wieder der Sonne zu zeigen.
Unser Fußmarsch begann an einem verregneten Dienstagnachmittag an der Spielmannsau in Oberstdorf. Es ging geradewegs steil hinauf zur Kemptner Hütte und die ersten Höhenmeter und undichten Stellen in der Outdoorausrüstung brachten einige an ihre Grenzen und die Gedanken im Kopf „schaffe ich es überhaupt, die Alpen zu bezwingen?“ mussten Tag für Tag den Gedanken des Triumphes weichen und dem Glauben an sich selbst und der eigenen Kraft. Wir als Betreuerinnen dieser Freizeit konnten tagein tagaus dabei zusehen, wie die Kondition und die Kraft unserer Teilnehmer*innen zunahmen und das Laufen bald zu einem Genuss wurde und der Gruppenverband erstarkte.
Jede neue Etappe brachte andere An- und vor allem Herausforderungen mit sich – mal ging es nur bergauf – anderntags fast ausschließlich bergab. Wir mussten über Zentimeter breite Wege durch Schneefelder und Gletscher, über Geröllwegen und Asphaltwegen hinweg den Pfad zu unseren Hütten und Unterkünften bestreiten und jedes Mal wenn wir unser Ziel erreicht hatten, waren die Blasen, Druckstellen und all die anderen Strapazen der Tagesetappe sofort vergessen. Wir freuten uns indes auf leichtes Schuhwerk, die Bewirtung am Abend und die freie Zeit gemeinsam.
In den abendlichen Reflektionsrunden ließen alle den Tag Revue passieren und berichteten von ihren Empfindungen, ihren positiven wie negativen Eindrücken und so konnte ein Jeder Einblick gewinnen, was enorm dazu beitrug eine intakte Gruppendynamik und Verständnis aufzubauen. In jeder Morgenrunde ließen wir unsere Wünsche für den Tag frei – und beinahe jeder Wunsch erfüllte sich bis zum Abend sogar. So konnten unsere Gruppe weder verpasste Busse, noch Seilbahnen, noch die zum Teil engen Herbergen oder eine Magendarmverstimmung erschüttern. Es hieß einfach immer: We’re marching on! Gepäck wurde abgenommen und aufgeteilt, sodass die Angeschlagenen oder Erschöpfteren von uns die Etappe meistern konnten. So schwer der Rucksack auf den Schultern manch einem vorgekommen sein mag, die nötige Anerkennung für seine treuen Dienste, unser Hab und Gut beisammen zu halten, hatte er allemal.
Für viele eine der schönsten Etappen war die zur Memminger Hütte. An diesem 3. Tag auf dem E5 mussten wir weitere Höhenmeter bergauf. Wir hielten auf einer Wiese kurz vor einem Wasserfall für eine Rast. Hier hatte jeder Zeit, sich ein kleines Plätzchen auszusuchen und bewusst die Natur mit ihren Farben, Geräuschen, Gerüchen und Bewegungen wahrzunehmen und für einen Moment inne zu halten.
Nach dieser Achtsamkeitsübung wanderten wir weiter durch die satte Landschaft und die Memminger Hütte schon im Blick, hielten wir noch unsere Brotzeit in einem Steinfeld am Fluss. Gegenüber von uns waren einige Pferde auf einem Hügel die sich ihrem Freilauf erfreuten und als einige Teilnehmer runter zum Fluss gingen, kamen auch sie ganz neugierig von der anderen Seite den Hügel herunter getrapt. So beschnupperten sich die Jugendlichen und die Pferde und akzeptierten das Dasein des anderen. Eine wunderbare Erfahrung und zauberhafter Anblick zugleich.
Bei der Memminger Hütte angekommen gab es den ersten Kaiserschmarrn für die Leckermäuler unter uns und einen Sprung in das glasklare, eisige Wasser des naheliegenden Bergsees für die Mutigen unter uns. Nach dieser Erfrischung und dem Abendessen konnten diejenigen, die von dieser Tagesetappe noch nicht genug hatten noch einmal einen 20 minütigen Aufstieg auf das gegenüberliegende Bergkreuz unternehmen, um den Sonnenuntergang zu bestaunen. Auf dem Gipfel konnte man die Ausmaße der Naturfaszination “Alpen“ so richtig begreifen und sich staunend und demütig in alle Himmelsrichtungen drehen, um auf immer mehr Details in der Ferne zu zeigen. Im Norden ging die Sonne unter und färbte den Himmel ein, auf der anderen Seite bildete sich eine Wolkenbank über unserer Hütte, die trotz allem noch die Bergspitzen herausragen ließ. Und mit dem langsamen Abkühlen der Umgebung und diesen fantastischen Bildern im Kopf begaben wir uns wieder nach unten in unser Lager, welches wir ganz für uns hatten und konnten beseelt einschlafen.